Hurra, die Schule steht!

Als im April und Mai 2015 die Erde in Nepal bebte, wurde der Distrikt Dhading – ebenso wie andere Teile des Landes – sehr schwer getroffen. Auch das Dorf Ratmate blieb nicht verschont, denn es liegt unweit des Epizentrums des Bebens. Einhundertundfünfzig Häuser und die einzige Grundschule des Dorfes wurden komplett zerstört.

Das Dorf Ratmate liegt im Norden des Dhading Distrikts, ca. 150 km von der Hauptstadt Kathmandu entfernt. In der trockenen Jahreszeit bedeutet dies, dass es nach einer ca. 12 stündigen Fahrt mit dem Bus (von denen die letzten 6 Stunden sehr gefährlich sind) erreicht werden kann, in der Regenzeit nach einem 15stündigen Fußmarsch von der nächstgelegenen geteerten Straße entfernt.

Einen Monat nach dem Erdbeben trafen sich der nepalesische Arzt Birat Bikram Niraula und Carl Heinz Reinders aus Ostfriesland bei einem Rückkehrertreffen des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED)am Bodensee. Herr Niraula war gerade von einem Nothilfeeinsatz aus dem Erdbebengebiet zurückgekehrt. Er hatte beschlossen, seine Stelle in der Neurochirurgie der Universitätsklinik in Tübingen aufzugeben, um im Erdbebengebiet für ein Jahr weiterhin Hilfe leisten zu können. Carl Heinz Reinders hatte mehrere Jahre für den DED in Nepal in verschiedenen landwirtschaftlichen Projekten gearbeitet. Durch das Zusammenleben mit den Menschen in abgelegenen Regionen hatte er Land und Leute intensiv kennen und die Sprache fließend sprechen gelernt. Gemeinsam dachten beide über Möglichkeiten nach, wie den betroffenen Menschen in den Erdbebengebieten am effektivsten geholfen werden könnte.

Im Februar 2016 trafen sich beide in Nepal. Bei den gemeinsamen Besuchen in einer Reihe von Ortschaften im Erdbebengebiet kamen sie zu dem Entschluss, die komplett zerstörte Grundschule “Shree Ratmate Prathamik Vidhyalaya“ in Ratmate wieder aufzubauen. Ziel sollte einerseits sein, Menschen in einer schwer zugänglichen Region zu erreichen, in der in der Regel keine Hilfe ankommt, und andererseits möglichst viele Familien an der Hilfsmaßnahme nachhaltig teilhaben zu lassen. Seitdem arbeiten nicht nur Herr Niraula und Herr Reinders sehr eng zusammen; sie haben in Nepal sehr engagierte nepalesische Teamgefährten gefunden, die sich vor Ort um alle Bereiche der Bauarbeiten (von Materialbeschaffung bis Bauaufsicht) kümmern. Gemeinsam gründeten sie die Organisation Sahayog Sanstha, was übersetzt „Hilfsorganisation“ bedeutet.

Die Grundschule Ratmate ist eine staatliche Grundschule, in der ca. 70 bis 80 Kinder der Klassen 1 bis 5 unterrichtet werden. In der Zeit nach dem Erdbeben erfolgte der Unterricht in Klassenzimmern, die provisorisch aus (zugigen)Aluminiumblechen errichtet worden waren oder – je nach Wetterlage – im Freien. Da der Nepalesische Staat noch nicht in der Lage ist, alle Schulgebäude wieder aufzubauen, wurde hier die Initiative von Birat Niraula und Carl Heinz Reinders ergriffen. Um ein solches Projekt erfolgreich durchführen zu können, ist es notwendig, eine gute Verbindung zu den Menschen des Dorfes herzustellen. Im Hinblick auf Ratmate erwies es sich als Vorteil, dass ein ehemaliger Schulfreund von Hrn. Niraula aus diesem Dorf stammte.

Nach etlichen bürokratischen Hürden und praktischen Vorarbeiten erfolgte im Dezember 2016 die Grundsteinlegung für die Schule. Sie sollte nach dem „Abari – Prinzip“ (www.abari.earth) erdbebensicher gebaut werden. Mit einer einfachen Technik wurden aus örtlichem Lehm, einem kleinen Teil Zement, Sand und feinem Splitt mit einer von Hand betriebenen Kompressionsmaschine Ziegelsteine direkt auf der Baustelle hergestellt. Diese wurden luftgetrocknet und mussten nicht gebrannt werden, was wiederum den Wald und die Umwelt schont. Insgesamt 50.000 Ziegelsteine wurden auf diese Weise auf der Schulbaustelle produziert. Daraus entstanden – aufgeteilt auf drei Gebäude – fünf Klassenzimmer sowie ein Raum für die Kindergartenkinder. Zusätzlich wurde ein kleines Tempelgebäude für die Göttin der Bildung, Saraswati, errichtet.

Alle von der Firma Abari zuvor errichteten Gebäude waren durch das Erdbeben nicht zerstört worden. Das Ziel von Birat Niraula und Carl Heinz Reinders war, in Ratmate ein Zeichen zu setzen, indem sie nicht nur eine Schule bauen wollten, die erdbebensicher ist, sondern auch aus naturfreundlichen Materialien besteht, die umweltschonend und nachhaltig sind und die direkt vor Ort ohne Strom und mit einfachsten Mitteln gewonnen werden können. Desweiteren sollten die Dorfbewohner durch das vermittelte Knowhow und eine finanzielle Entlohnung für ihre geleistete Arbeit selbst in die Lage versetzt werden, ihre zerstörten Häuser in gleicher Weise wieder aufzubauen.

Zum Zeitpunkt des Baubeginns war für die Errichtung der gewünschten sechs Klassenzimmer nur ein Bruchteil der gesamten Geldsumme vorhanden. Um weitere Spendengelder erlangen zu können, stellten Herr Niraula und Herr Reinders ihr Schulprojekt in verschiedenen Orten in Deutschland einem kleineren und größeren Publikum vor. Finanziert wurde dadurch der Wiederaufbau mit Spenden von Lions Clubs, Rotary Clubs, Stiftungen, Vereinen und ebenso durch viele Privatspender und -spenderinnen. Auf diese Weise kamen ca. 50.000 Euro zusammen. Im Juli 2017, ein halbes Jahr nach Baubeginn, konnten die Schülerinnen und Schüler in das neue Schulgebäude umziehen. Im August 2017 wurde die Schule in einem offiziellen Rahmen, mit Reden und Ansprachen unter der Teilnahme von Schulleiter, LehrerInnen, Bürgermeister, Mitgliedern und Freunden der Hilfsorganisation Sahayog Sanstha, SchülerInnen mit ihren Eltern und Angehörigen feierlich eingeweiht und an das 2016 von den Dorfbewohnern gegründete Schulkomitee übergeben. Die Schülerinnen und Schüler hielten ihre Freude über die neue Schule in selbstgemalten Bildern fest